Dolphin Address 22
21. Mai 2005
Die Sache wird langsam eng hier. Meine anfängliche Resignation über Dustys Abwesenheit war abgefangen worden durch ihre allgemeine Unvorhersagbarkeit. Dies wurde sehr bestärkt durch die beiden Male, die wir sie tatsächlich hier gesehen hatten. Aber sie war und bleibt jetzt seit einer Woche weg, so dass ich im Dunkeln tappe. Entgegen all meinen Befürchtungen bezüglich der ferngesteuerten Leine, habe ich mir ein Mobiltelefon besorgt. Es ist eine niedliche, kleine Box, die meinem untrainierten Gehirn als beispiellos komplex erscheint. Wäre Rodin noch am Leben hätte er zweifelsohne den ´Homo mobile telephono´ in Marmor erstarren lassen, als jemand, der nachdenklich über seiner Hand brütet.
An diesem Nachmittag saß ich gemütlich im Bus auf die in Regen versinkende, wogende Wildheit starrend, als der Apparat plötzlich in bebender, knurrender Aufregung losgeht. Ich erkannte sofort die Zitter-Funktion, die mein Bruder einmal erwähnt hatte, aber der Schauer, der mir über den Rücken lief, hielt bestimmt länger als eine Minute an. Später erklärte Verena bei ihrem Anruf aus Berlin, sie hätte am Flughafen Shannon die Alarmfunktion angestellt, aber fälschlicherweise auf nachmittags.
Bis vor kurzem habe ich immer wieder Licht am Horizont gesehen bezüglich Dustys Anwesenheit. Aber die Boathousebay ist 35 km von Fanore entfernt und in Anbetracht ihres anhaltenden Nichterscheinens, fühle ich mich nicht unbedingt motiviert. Nun gibt es aber schon ein sehr ausgedehntes mobiles Netzwerk von Delphinados, in das auch ich mich jetzt eingeflochten habe. Für alle Delphin-Neuigkeiten könnt ihr mich unter 00353-85-1242110 erreichen. Ich muß aber betonen, ich bin kein Reisebüro, und insofern verweise ich sämtliche Leute, die Auskünfte suchen auf www.irishdolphins.com.
Dennoch ist ein delphinloser Tag an der Boathousebay kein verlorener Tag. Der Ozean nimmt ständig andere Formen an, und diese sind nicht selten überwältigend. An diesem Nachmittag fällt meine Sicht wesentlich stürmischer aus als viele Male zuvor. An den vorgelagerten Riffen türmen sich die Wellen zu virtuellen Wasserbergen auf, die in Orgien leuchtenden Schaums ineinander krachen, und näher, bei den kleinen Inselchen, die ich Beluga-, Pilot- und Blauwal getauft habe, toben die Wellen in solch Manier, dass es manchmal aussieht, als stünde das Wasser still, um die Felsen anzutreiben, sich als aufblitzende Rückenflossen davon zu bewegen.
Die wirbelnden Massen mahlen Löcher in die Oberfläche, die gierig durch hoch aufspritzende Finger und Schaumfäuste geschlossen werden. Ein Gannet auf Kriegsfuß streicht tief über die ungeheuerlichen Turbulenzen. Ein Schwarm Kormorane wartet auf den Abflug auf einem herausstehenden Felsen, der in umwerfend schicke Schleier aus Schaum gekleidet ist. Küstenblüten wackeln atemlos auf ihren Stielchen. Ein untergetauchtes Blowhole wirft hereinschmetterndes Seewasser meterhoch in die Luft. Hin und wieder driften Wolken als schattenwerfende Decken heran, nur um einen goldberandeten Horizont freizugeben. Jetzt da die Sonne sich senkt, vergrößern die Schatten die Vertiefungen in den Klippen. Was könnte die Kraft dieser Schönheit durchbrechen?
Ich fühle die Warnung der Leere in meinem Magen. Es ist 8 Uhr auf meinem Telefon und eine dreiviertel Stunde Fahrt bis zu meinem Lieblingspub in Doolin, wo die Küche um halb neun schließt. Wir sind eine so kalkulierbare Species. Natürlich kann ich vorausbestellen per Telefon, aber das würde wohl auch eine halbe Stunde des Studierens erfordern, und wenn ich während des Fahrens anrufe, kann ich nur halbe Geschwindigkeit machen. Verzweifelt versuche ich, meinem Taschenrechner eine Lösung zu entlocken. Eine Seemöwe wählt diesen Moment, um meine Windschutzscheibe zu nähren. Das ist ein Zeichen. Ich wische mir die Tinte aus den Augen, drehe den Zündschlüssel und lasse meine quadratische Tomate in ein Grummeln verfallen. Mental switsche ich von digitaler zu Körpersprache und kann nur noch durch meinen Magen denken.
Let`s hit the pot Jack!
Jan Ploeg, Boathousebay, 21. Mai 2005
Übersetzung und Beratung: Verena Schwalm
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