Dolphin Address 20
11. Mai 2005
Weit entfernt von Hawaii, aber gerade südlich der Donegal Bay öffnet sich das Delta des Moy in die Killala Bay. Der Ozean hat seine Abdrücke im Sand des immensen Strandes hinterlassen, auf welchen die Wellen in parallelen Reihen, die Rundungen ihres Zieles schon vorausahnend, zurollen. Bei starkem Wind sehen sie aus wie schäumende Türmatten, die ihre Ankunft feiern, aber in der Stille des ausklingenden Tages erscheinen sie mehr wie gleitende Zungen, die das Land lecken. Der Ozean lässt die Augen sich bis zur geraden Linie des Horizontes suchend strecken.
Wir haben uns einige Tage in Enniscrone genehmigt, um uns von dem eisigen Beißen der ewig windigen Küste von Fanore zu erholen. Aber eigentlich ist es nicht das Äußere unseres Zieles, das uns Zugang zu einer wunderhaften Heilung ermöglichen soll. Unten, direkt am Wasser, markieren die Überreste eines Vergnügungsortes des Gemeinen Mannes den Platz, an dem Terrassen in mehreren Leveln in die See herabsteigen. Mit ein wenig Fantasie nur füllen sie sich mit Männern und Frauen, in körperbedeckende Bademoden gehüllt, hübsch voneinander getrennt platziert, sich aufplusternd und kichernd die altbewährten Flirtspielchen spielend und ihre Lust in den kühlen Wellen löschend. Wo blieb nur die Unschuld der Jugend vor unserer Jugend als diese Badeanstalt verschlossen wurde durch Mörtel und Stein?
Eine Institution, die die See mit der Küste verbindet hat überlebt, oder mehr als das, sie floriert auf Grund der versteckten Heilkraft, die das Salzwasser bietet. Es ist dieses seltsame Heilmittel, das seinen Ruhm über ganz Irland verbreitet, dem wir auf den Fersen sind. Die Zähne der Zeit wurden in den großen Porzellanwannen immer gut geputzt, die den sich treibend Hingebenden erwarten. Eine Sitzung in einer Einheitsgrößen-Dampfkammer leitet die Prozedur ein. Eine Klapptür lässt einen Ausschnitt für den Kopf frei und ein innen angebrachter Hebel ermöglicht die exakte Dosierung des Dampfes für seinen Insassen. Anschließend heißt einen das gelblich-braune Seewasser, das großzügig mit Algen angereichert wurde, willkommen. Es kitzelt auf der Haut und fühlt sich leicht schleimig an. Die Badetemperatur kann durch monströs große Messinghähne heiß oder kalt reguliert werden. Die beiden verwendeten Algenarten sind reich an Jod und Ionen und gewährleisten ein angenehmes Ganzkörperpealing. Wer sich hin und wieder selbst Angst einjagt durch die Einbildung kleiner fieser Kreaturen, die irgendwo hervorkriechen, sollte diesem Ort lieber fern bleiben.
Schon sehr bald erfüllt der Dampf den Raum und man entspannt in einer Wolke. Die Hitze durchdringt den Körper bis zu den Knochen und die Haut absorbiert die Kraft des verlorenen Kontinents. Hin und wieder muß man einen Arm oder ein Bein herausstrecken, um die Körpertemperatur zu balancieren und das Klopfen des Pulses etwas zu mindern. Eine allgemeine Schläfrigkeit macht sich langsam in Körper und Seele breit und im Gegensatz zu John Donnes Feststellung, fühlt man sich doch sehr wie eine Insel, allein der See überlassen. Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten, diese Erfahrung zu beenden. Man kann sich mit einem kuscheligen Handtuch abtrocknen und die Rückstände einfach auf der Haut lassen, oder aber man zieht die Kette eines riesigen Duschkopfes über einem und lässt klares kaltes Wasser über den Körper rinnen, bis man in der Realität angekommen ist. Wie auch immer man sich entscheidet, das Ergebnis ist eine angenehme Mattigkeit und ein paar Stunden Schlaf sind keineswegs nur Luxus.
Unser Heilmittel mag nicht den sofortigen Erfolg gebracht haben, den wir uns erwünscht hatten, aber ich fühle, dass sich der grollende Ozean in eine wohlgemeinte Quelle gewandelt hat und ich zögere, das Elend zu betrachten, das wir gelitten hätten, hätten wir versucht, uns auf der Wiese zu erholen.
Jan Ploeg, ‘Ceol na Mara’ B&B, Enniscrone, 11. Mai 2005
Übersetzung und Beratung: Verena Schwalm
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